Die Astronauten by Lem Stanislaw

Die Astronauten by Lem Stanislaw

Autor:Lem, Stanislaw [Lem, Stanislaw]
Die sprache: eng
Format: epub
veröffentlicht: 2013-09-12T16:00:00+00:00


Der schwarze Fluß

Meine Befürchtung war leider nur zu begründet gewesen. Als wir oben auf dem Kamm standen, sahen wir einen zweiten Talkessel vor uns – ein wogendes Nebelmeer inmitten schwarzer, zackiger Wände. Dieser Felsengrund lag höher als die Talsenke der weißen Kugel. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, ihn im Süden zu umgehen, und zwar auf einem allmählich abfallenden Grat, der im Nordosten zu einem Ausläufer des eigentlichen Gipfels wurde. Lose Nebelschleier ballten sich zu Wolken zusammen, flossen flach auseinander, wurden aber langsam und unaufhörlich dichter, stiegen höher und überfluteten die Hänge. Angeseilt, zu beiden Seiten den milchigen Abgrund, schritten wir den Grat entlang. Hier und da schob sich eine leichte, vom Wind erfaßte Wolke nach oben, stieß an den Felsen und schwamm zwischen uns hindurch. Dann sah ich nur noch den dunklen, vergrößerten Schatten Arsenjews vor mir. Die Anstrengung des Marsches trieb uns das Blut ins Gesicht. Auf dem Schirm tanzten verschwommene Lichtflecke, sternförmige Phantome. Aber man brauchte nur einige Male die Augen zu schließen, und alles verschwamm wieder; der Nebel aber blieb.

Ich blickte auf die Uhr. Wir gingen bereits neun Stunden. Der Mangel an Training machte sich bemerkbar. Aus allen Poren brach der Schweiß, rann über den Nacken, den Hals und von der Stirn ins Gesicht.

Inmitten sich kreuzender Dunststreifen ragte unbeweglich der Gipfel auf. Seine riesigen, faltigen, von Rinnen durchschnittenen Hänge waren noch immer gleich weit entfernt. Nun fiel der schwarze Kamm des Grates steil ab und verschwand schließlich in der Wolkenflut. Er glich an dieser Stelle einer schmalen, langgestreckten Halbinsel, die von einem weißen Ozean umspült wird. Ich schlug eine Rast vor. Die Gefährten waren sehr erschöpft. Rainer hinkte sogar schon ein wenig. Wir lagerten uns unter einem Vorsprung des Grates. Zum Glück hatten wir hier nicht mit dem Hauptfeind der Bergsteiger auf Erden zu rechnen, mit dem Frost. Der Felsen war warm, wie von der Sonne beschienen.

Ich hörte, wie der Chemiker sagte: »Ich wollte eine Tafel Schokolade mitnehmen, habe sie aber dann doch vergessen. Und die könnten wir jetzt gut gebrauchen.«

»Murren Sie nicht, Doktor«, brummte Arsenjew. »Wie lange wollen wir hierbleiben?« wandte er sich an mich.

»Wir sollten versuchen zu schlafen«, erwiderte ich. »Das ist das beste, was wir augenblicklich tun können. Vier Stunden müßten genügen, und dann wecke ich Sie. Ich wache auf, wann ich will.«

»Eine wertvolle Gabe«, sagte noch jemand; aber ich hörte die Worte bereits wie aus weiter Ferne. –

Eine Unzahl silberner Ameisen läuft hinter mir her. Ich habe keine Furcht vor ihnen, im Gegenteil, wir vertragen uns recht gut miteinander. Auf einmal bemerke ich, daß eine auf meiner Hand sitzt; ich schreie. Sie verlangt, ich soll mich sofort in die Luft erheben und zur Rakete fliegen, da die Gefährten über unser Fernbleiben beunruhigt seien. Die anderen wiederholen es im Chor. Alle meine Erklärungen, daß ich ja gar nicht zu fliegen vermag, sind umsonst.

Schließlich werde ich böse, winke mit der Hand ab und – erhebe mich in die Luft. Schon flattere ich, ungeschickt wie ein Huhn, über dem Boden, als mich plötzlich wieder etwas hinabzieht, sehr kräftig hinabzieht.



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